Der Titel deines Buches lautet „das Projektil sind wir “ - ein Zitat aus einem Brief von Andreas Baader. Kannst du die Wahl des Titels erklären?
Der Satz von Andreas versuchte zusammen zu fassen, was die RAF bestimmt hat: Sich mit allem was man hat in den Kampf einzubringen. Die RAF war nicht nur eine revolutionäre Gruppe, sie hatte auch deutlich existenzialistische Bezüge. Sie wollte einen unumkehrbaren sozialen und politischen Prozess initiieren, der sich mit denen aus anderen antiimperialistischen Kämpfen zusammenfindet. Mit ihrem Tod in Stammheim haben die Gefangenen diese Unumkehrbarkeit für sich auch bekräftigt.
An wen richtet sich das Buch?
Ich habe keine „Zielgruppe“. Wir müssen selber über unsere Geschichte reden. Ob das jemanden interessiert, ist für mich nur mässig wichtig. Ich will es gesagt haben. Schweigen hilft nur denen, die die Geschichte ins Systeminteresse verfälschen wollen.
Versteht sich das Buch als historische Quelle eines Zeitzeugens oder eher als eine Art autobiographische Zwischenbilanz?
Es artikuliert den derzeitigen Stand meiner Reflektion über die RAF und will an eine Zeit und eine Stimmung erinnern, in der viele Linke, die heute nur noch Ideologieproduktion für das bürgerliche System betreiben, ebenso für die Revolution und für einen revolutionären Kampf waren.
In den historischen Analysen um die Anfänge des bewaffneten Kampfes wird immer wieder auf das spezielle politisch-kulturelle Klima der 70er hingewiesen. Wie würdest du dieses Lebensgefühl aus deiner subjektiven Sicht beschreiben?
Ausgedrückt zuerst in der Musik, in der Mode, in den neuen Körperhaltungen, im Wunsch nach Subjektivität, im Bedürfnis nach Solidarität in der eigenen Generation und allem, in dem der Mensch im Mittelpunkt stand, entstand eine Gegenkultur in den 60er und 70er Jahren, die nach und nach alle Lebensbereiche erfasste. Man wußte, daß ein anderes Leben möglich ist als jenes, was uns diese schreckliche Kriegsgeneration aufzwingen wollte aus ihrer eigenen Fremd- und Selbstzurichtung. Mein Verhältnis zur damaligen Gesellschaft war von Anfang an von einem steigenden Bedürfnis nach Distanz und Abtrennung geprägt. Leute wie ich hatten früh das Gefühl, dass wir in diesem alten System überhaupt nichts finden und nur für die Interessen anderer funktional gemacht werden. Dieses funktional machen für das System habe ich als eine Art von Vernichtungsdrohung empfunden. Ich hatte innerlich oft Angst davor, was ein Mitmachen im System aus mir machen würde. Insoweit war mein Grundgefühl zu Anfang eines, in dem Unsicherheit neben einer Hoffnung auf ein anderes Leben stand, von dem man wußte, es kommt nur, wenn wir es erkämpfen. Für mich gab es keine Alternative dazu, die Dinge selbst zu machen.
Hat sich der Entschluss, dich der RAF anzuschliessen aus diesem Lebensgefühl heraus ergeben oder stellt der Schritt in den bewaffneten Kampf ein Bruch mit allem Bisherigen dar?
Ich habe mich jahrelang mit der RAF beschäftigt. Der Schritt zur Praxis war kein Bruch mit allem zuvor. Die Selbstillegalisierung sollte eine neue Ebene, ein radikaleres Verhältnis zum System ermöglichen als das bis dahin umgesetzte. Nach dem Schritt war ich erst einmal erleichtet darüber, diesen getan zu haben.
Du bist 1975 zur RAF gegangen, nachdem du bereits politische Erfahrungen im Komitee gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD und West-Berlin und in der Häuserkampf-Bewegung gesammelt hattest. War der Schritt in den bewaffneten Kampf das Resultat einer Euphorie oder eher Ausdruck einer gewissen Resignation?
Ich war überhaupt nicht euphorisch. Ich hatte seit Jahren die RAF als konkete Anforderung an mich gesehen. Nach dem Tod von Holger Meins mußte eine Entscheidung getroffen werden. Für mich war das ein „jetzt oder nie“. Ich konnte da einfach nicht mehr auf weitere politische Klärungen warten. Wir mußten handeln. Alles andere wäre für mich Verrat und zusehen bei etwas gewesen, was ich damals mit vielen anderen als „Neuer Faschismus“ begriffen habe.
Die RAF wirkt von Aussen her betrachtet und in der historischen Distanz als sehr militärische Organisation – was für eine Rolle spielten Freundschaft und Lebensfreude?
Wir hatten ein unendlich offenes Verhältnis zueinander. Das würde ich als Freundschaft definieren. Später stellte sich heraus, daß der Bestand dieser Freundschaft an einen politischen Grundkonsens gebunden war, für den es aber keine demokratischen Kriterien gab. Was ist „richtig“ und was ist „falsch“ in einer Gruppe, in der die Einzelnen oft voneinander isoliert waren? Manche haben den Beweis von Radikalität darin gesehen, dass sie im vermeintlichen Sinn für die „richtige Linie“, was auch immer das ist, sich von anderen Abtrennen konnten. Da zählten dann die persönlichen Beziehungen nichts mehr. Das war der Beweis der Abwesenheit von Freundschaft.
Hast du auch für deine, individuelle Befreiung gekämpft oder war der bewaffnete Kampf als solcher bereits befreiend?
Natürlich ging es für mich darum, daß ich meine Emanzipation in einem kollektiven Befreiungsprozess vorantreiben kann. Wir haben nicht nur die alten gesellschaftlichen Verhältnisse sondern uns selber als Ziel des Kampfes gesehen. Wir wollten die sozialen und politischen Widersprüche des Kapitalismus auflösen und das Subjekt als Zentrales in der gesellschaftlichen Entwicklung setzen. Es ging immer auch um uns selbst. Der bewaffnete Kampf alleine ist ein Mittel, nicht der Inhalt der Radikalität.
Mit dir wird auch Gabriele Rollnik nach Bern kommen, ihr beiden habt zusammen mit anderen ehemaligen RAF und 2.Juni KämpferInnen Beiträge für das Buch „Nach dem bewaffneten Kampf “ verfasst. Was bedeute für dich Vergangenheitsverarbeitung nach 20 Jahren Knast?
Vergangenheitsverarbeitung klingt mir zu theatralisch. Wir lernen weiter im Leben und sind deshalb fähig, alle Dinge immer wieder neu zu bewerten. Die Reflexion über die Vergangenheit ist nie fertig. Ich zähle zu denen, die eine revolutionäre Umwälzung wollten und sich deshalb bewaffnet haben. Ich will eine radikale Reflexion über unseren Kampf und möchte auch in der Kritik unserer Praxis Subjekt sein.
Du hast 1997 an der Veranstaltungsreihe „Zwischenberichte “ in der Roten Fabrik Zürich teilgenommen und dort unter anderem gesagt: „Kein System basiert allein auf Repression. Es braucht immer auch eine Übereinkunft zwischen Herrschern und Beherrschten. Daran etwas zu ändern oder zu rütteln heisst meiner Meinung nach, die Machtfrage zu stellen“ - siehst du Menschen die rütteln?
Ich weiß nicht, ob Revolutionen heilsam sind und die Befreiuung bringen. Man kann Zweifel dran haben und sieht immer wieder, dass alte Strukturen aus der Geschichte nachrücken. Aber sie sind mit ihren Übertreibungen und Einseitigkeiten notwendig, um den Selbstlauf des Bestehenden zu brechen und reale Veränderungen im Geschichtsprozess zu erzwingen. Ich bin kein fröhlicher Optimist, aber ich glaube, dass das Bedürfnis nach Entfaltung des Subjekts am Ende immer wieder stärker ist als die Rationalität einer bestehenden Ordnung und eines bestehenden Gesellschaftssystems mit seiner Tendenz, sich ewig fortzuschreiben.