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Neben der Spur

Dokumentarfilm über das Leben im Kinder- und Jugendheim Putenhof Belitz im Wendland, welches seit anderthalb Jahrzehnten auch von der ungewöhnlichen Bindung an das ehemalige Konzentrationslager Theresienstadt geprägt ist.

Der Film stellt das Konzept dieser Jugendarbeit dar und zeigt, wie Jugendliche, die fast als chancenlos festgelegt sind, mit einfühlender Intensität auf diesen Ort reagieren und selbst von der Hoffnung geprägt sind, nicht untergehen zu müssen.

 

Der Film Neben der Spur ist in den Bestand der 
Stiftung Deutsche Kinemathek
Potsdamer Str. 2
10785 Berlin
übernommen worden und kann dort ausgeliehen werden.

Stimmen zum Film:

Prof. Peter-Alexis Albrecht

Prof. Peter-Alexis Albrecht zu »Neben der Spur«, Januar 2010:
 
Das Jugendstrafrecht will »erziehen«. Aber es gelingt nicht, kann im Knast nicht gelingen. Gerade junge Strafgefangene stellen die hoffnungslosesten Rekrutierungsjahrgänge dar, die den sicheren Bestand gesellschaftlich produzierter Abweichung gewährleisten. Das wissen alle Fachleute, aber nur wenige vermitteln es, und das zumeist ungelesen.
 
Das kriminologische Rezept der Experten schon aus dem Jahr 1983: Jugend und Kriminalität, hrsg von H.Schüler-Springorum, edition suhrkamp, S. 156 ff.:
 
»Wollte man Alternativen erwägen, so wäre es notwendig, zeitlich und lokal vor den Mauern ein Angebot an sozialen Diensten zur Verfügung zu stellen, das mit nichtrepressiven Methoden den Jugendlichen legale Möglichkeiten eröffnet und gleichzeitig zum Abbau überindividueller kriminogener bzw. kriminalisierender Strukturen beiträgt«.
 
So geschwollen redet die Wissenschaft daher. Wer wissen will, was das konkret heißt, der schaue sich diesen Film an. Er gibt die überzeugende Antwort auf - von der aktuellen Kriminalpolitik als unlösbar angesehene - gewichtige gesellschaftliche Probleme. Überzeugende Menschlichkeit, erlebte persönliche und soziale Solidarität und Heilung geschlagener (nicht nur psychischer) Wunden.
 
Um das zu erkennen und vermitteln zu können, muss man wohl selber den schweren Gang zerstörender Kriminalisierung gegangen sein. Überzeugender als in diesem Dokumentarfilm lassen sich konstruktive und einfühlsame gesellschaftliche Alternativen zum traditionellen Zugriff staatlicher Kontrolle nicht darstellen.
 
Prof. Dr. Peter-Alexis Albrecht
Fachbereich Rechtswissenschaft
Goethe-Universität
Frankfurt am Main

 


Gaston Kirsche in haGalil.com, Jüdisches Leben online am 4. April 2016 - 25. Adar B 5776:
http://www.hagalil.com/2016/04/neben-der-spur/

Der Hamburger Filmemacher Karl-Heinz Dellwo hat einen außergewöhnlichen, 81-minütigen Dokumentarfilm über die Jugendlichen aus dem Heim Putenhof im Wendland gedreht…

 

"Im Mittelpunkt des Films von Karl-Heinz Dellwo stehen die Jungendlichen des Putenhofs Belitz. Er begleitet sie über einen längeren Zeitraum und baut so das Vertrauen auf, ohne das dieser Film nicht hätte gedreht werden können. Mit viel Empathie nähert sich der Filmemacher den Jugendlichen und lässt ihnen Zeit, ihre Antworten in den Interviews zu entwickeln. Auf diesen Film muss man sich einlassen!! Das braucht Zeit."

Theda Ohling, Lehrerin und Filmkriterin

 

Konkret Magzin:

Die Montage des Films nimmt sich Zeit, die Stimmung wird weich, ja, auch poetisch. Zeit, sich zu öffnen. Und genau das ist das Unverwechselbare und das Politikum dieses Films: Dellwo ergreift Partei für die Kinder und Jugendlichen nicht nur verbal, sondern kom- plett, wie soll ich sagen, mit empathischem Gemüt. »Hier sind Jugendliche, die unterschied- lich in ihrer Kindheits- und Jugendentwicklung gestört wurden. Und doch trägt jeder sein Potential mit sich, verzerrt, verschlossen, oftmals missachtet und niedergedrückt. Es dabei zu belassen wäre nur der Akt eines gesellschaftlichen Verrats, der jeden einschließt.« Unerläßlich sei »der verbündete Blick aus der eigenen Jugend«.

Dietrich Kuhlbrodt, Konkret 02/2007

 

Arbeit in Terezin    Foto: ©Marks-Photo, Hamburg

 

Ein sensibles Sicheinlassen: Am Mittwoch hat im 3001 ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm über die Jugendlichen aus dem Kinder- und Jugendheim Putenhof im Wendland Premiere

taz Nord 17.2.2007 Neben der Spur Ein sensibles Sicheinlassen: Am Mittwoch hat im 3001 ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm über die Jugendlichen aus dem Kinder- und Jugendheim Putenhof im Wendland Premiere Früh am morgen, draußen ist es noch dunkel. Ein Schild vor einem Bauernhofgelände ist zu sehen: Putenhof. Drinnen frühstücken Jugendliche. Zuvor waren sie beim Versorgen von Schweinen, Pferden und anderen Hoftieren zu sehen.

»Über ein Jahr habe ich beobachtet, wie die Jugendlichen hier leben«, ist eine eindringliche Stimme aus dem Off zu hören, die Worte sind sorgsam gewählt. Karl-Heinz Dellwo, Regisseur und Kameramann von »Neben der Spur«, spricht seinen Kommentar selbst: »Hier sind wie in anderen Heimen Jugendliche, die unterschiedlich in ihrer Kindheits- und Jugendentwicklung gestört wurden. Und doch trägt jeder sein Potenzial mit sich, verzerrt, verschlossen, oftmals missachtet und niedergedrückt. Es dabei zu belassen, wäre nur der Akt eines gesellschaftlichen Verrats, der jeden Einzelnen einschließt.« Klar, ruhig und prägnant sind auch die Bilder des Filmes, der es nicht nötig hat, mit dem Verzicht auf Stativ und längere Totalen Authentizität und Nähe vorzugaukeln.

Wenn die Jugendlichen in Nahaufnahme interviewt werden, wird ihnen Zeit gelassen, Worte zu finden: »Ich bin hier, weil ich gern was mit den Pferden mache«, erklärt Yvonne auf die Frage, was ihr am Putenhof gefällt. Gero erzählt, wie er sich gegenüber dem Jugendamt dafür entschieden hat, auf dem Putenhof leben zu wollen, nachdem er sich alles einen Tag angeschaut hatte.

»Atem holen können von der verinnerlichten Ausweglosigkeit«, kommentiert Dellwo das Leben auf dem Putenhof. Eine besondere Rolle spielt für die Jugendlichen die Versorgung der Hoftiere. Sie erfahren unmittelbar die Bedürfnisse der Tiere, entwickeln daraus Verantwortungsgefühl und Kompetenzen. Sie bauen gemeinsam mit einem Berufsschul-Lehrer einen Stall für die Pferde und erfahren durch die praktische Arbeit den Sinn der Konstruktionsberechnungen in der Lüchower Berufsfachschule.

Eine besondere Intensität erreicht der Film beim Dokumentieren eines Workcamps eines Teils der Putenhof-Jugendlichen auf dem Gelände des ehemaligen KZ Theresienstadt. Seit 16 Jahren fahren einmal im Jahr Freiwillige vom Putenhof für mehrere Wochen nach Terezín und konfrontieren sich dort unmittelbar mit dem deutschen Nationalsozialismus. Alle Gebäude sind dort noch erhalten – die Erschießungsmauer, die Baracken für 400 Häftlinge, die Unterkünfte der SS. »Wenn ich hier die Gräber sehe, es sind so viele«, erklärt ein Junge sichtlich bewegt: »Nächstes Jahr komme ich wieder und kann sehen, wie die Rosen blühen, die wir auf den Gräbern pflanzen.« Ein Mädchen schildert, wie Häftlinge in einen Graben getrieben und gezwungen wurden, auf Leben und Tod miteinander zu kämpfen.

Arbeitspause auf den Wallanlage in Terezin Foto: ©Marks-Photo, Hamburg

 

Kommentar von Dellwo: Der Film zeigt, »wie Jugendliche, die gesellschaftlich fast als chancenlos festgelegt sind, mit einfühlender Intensität auf diesen Ort reagieren und selber von der Hoffnung geprägt sind, nicht untergehen zu müssen.« Durch die unmittelbar geäußerte Empathie mit den Opfern im KZ wirken die Bilder, die zeigen, wie die Jugendlichen in der Nähe des KZ feiern und Fußball spielen, dabei selbstverständlich und keineswegs als Gegensatz. Die emotionale und körperliche Schwere ihrer Gedenkstättenarbeit braucht einen Ausgleich. Und der gehört bei diesem Film, der den ganzen Alltag dokumentieren soll, dazu.

»Kein Jugendlicher ist einfach. Diese hier besonders nicht. Nur – was sollte ihr Fehler sein, wo sie zuallererst nur das Unglück hatten, mit schlechten Karten in der Hand geboren zu werden?«, fragt Dellwo aus dem Off. Ihm ist ein sensibles Sicheinlassen auf die Jugendlichen und ihre Betreuer gelungen. Vielleicht hat ihm geholfen, dass er selbst harte Erfahrungen mit gesellschaftlicher Ausgrenzung gemacht hat. 1973 wurde er bei einer Hausbesetzung in der Hamburger Ekhofstraße verhaftet, mit 23 ging er in die Rote Armee Fraktion (RAF), besetzte mit einem bewaffneten Kommando die Botschaft der BRD in Schweden. Die Besetzung endete in einem Blutbad, Dellwo musste für 20 Jahre ins Gefängnis, unter verschärften Haftbedingungen. »Neben der Spur« ist nun der dritte Film seiner Produktionsfirma Bellastoria.

»Die Jugendlichen kommen in ihrer eigenen Sprache zu Wort – das hat mir gut gefallen. Und der Film hat starke, wunderbare Bilder,« erklärt Jens Meyer vom 3001-Kino gegenüber der taz. Dellwo hat Meyer den Film schon im Rohschnitt gezeigt. »Den Film haben wir ins Programm genommen, weil er uns gefällt. Wir suchen uns ja eh nur die Filme aus, die uns gefallen«, sagt Betreiber Jens Meyer über das Konzept des 3001. Und hofft auf viel Publikum – auch zur Premiere von »Neben der Spur«. GASTON KIRSCHE Mi, 21. 2., 19 Uhr, 3001, Schanzenstraße 75 (im Hof); Infos zum Film: www.bellastoria.de

taz Nord Nr. 8204 vom 17.2.2007 Hamburg Aktuell 156 Zeilen, GASTON KIRSCHE S. 31

 

Elbe-Jeetzel-Zeitung, 27.11.2006

Einfühlsamer Dokumentarfilm von Karl-Heinz Dellwo über die Jugendlichen vom Putenhof in Belitz kam an. Sie seien emotional verwahrlost und wären niemals richtig angenommen worden, beschreibt Heimmutter Doris Winkler die Jugendlichen vom Belitzer Putenhof. Um sie aus ihrer »Buhmann- Situation» wieder herauszuholen, bräuchten sie einen Lebensrahmen, der sie nicht erdrückt, und Erwachsene, die sich ihnen stellen und neue Räume eröffnen, heißt es im Film »Neben der Spur».

Regisseur mit Heimleiter Jürgen Winkel und Jugendlichen des Films

Premiere Neben der Spur 
Rund 48 Stunden Filmmaterial, teilweise mit wackeliger Handkamera aufgenommen, hat Regisseur Karl-Heinz Dellwo gesichtet. Geworden ist daraus ein 81-minütiger Dokumentarfilm im Fernsehformat über die Jugendlichen des Kinder- und Jugendheims in Belitz. Am Donnerstagabend wurde das neuste Werk der Hamburger »bellaStoria Film» im »Café Grenzbereiche» in Platenlaase vor gut dreizig Zuschauern uraufgeführt.

Karl-Heinz Dellwo erzählt in seinem Film eindringlich von der Suche der Jugendlichen nach Anerkennung und ihrem Platz im Leben. Entstanden ist ein ungeschminktes Porträt von Jugendlichen mit gebrochenen Biografien zwischen Wut über das Erfahrene und ihrer Stärke, darüber zu berichten. In stimmungsvollen, ruhigen Bildsequenzen macht der Low-Budget-Film die Zuschauer bekannt mit den Jugendlichen, ihren Betreuern und dem Leben auf dem Putenhof, an einem Ort, an dem sie »Atem holen können von der verinnerlichten Ausweglosigkeit», kommentiert der Regisseur. Beim Bau eines Offenstalls oder beim Versorgen der Tiere erfahren die Jugendlichen, was sie bisher schmerzlich vermisst haben: Sie bringen etwas zustande, sie sind etwas wert.

Nicht zuletzt die Interviews mit den Mitarbeitern lassen das Ausmaß und die Qualität der sozialpädagogischen Arbeit auf dem Putenhof ahnen. Seit rund 15 Jahren gehört zu dieser Arbeit auch der intensive Kontakt zur Gedenkstätte Terezin/Theresienstadt. Ihr Aufenthalt dort bringt die Jugendlichen auf die Spur. Er verschafft ihnen Zugang zu dem, was im ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt passiert ist: Sehnsucht nach Herrenmenschentum, gepaart mit der Lust am Leid des anderen oder mit Gleichgültigkeit. Eine Erlebniswelt, die auch etwas mit ihrer eigenen Geschichte zu tun hat. Hier freiwillig Rosen zu pflanzen oder mit ehemaligen Inhaftierten zu sprechen, sei etwas ganz anderes, als in der Schule den Nationalsozialismus durchzunehmen.

Denn »Schule ist nur das, was die Erwachsenen wollen, dass man lernt», erklärt die Diplompädagogin Birgit Cooray im Film die gängige Denkweise Jugendlicher. So aber nähmen die Jugendlichen bestenfalls das dort Gelernte mit hinüber in ihren Alltag. »Kein Jugendlicher ist einfach. Diese hier besonders nicht», heißt es im Film. Dass man sie damit nicht allein lassen kann, nur weil sie »mit schlechten Karten» geboren wurden, ist eine der Kernaussagen des Films. Eine Aussage, die von den durchweg begeisterten Zuschauern in der sich anschließenden Diskussion voll unterstützt wurde. B. Helmcke

 

Der Film »Neben der Spur« wurde nachträglich finanziell geförderte von der »Stiftung Erinnerung« in Lindau am Bodensee.

Die »Stiftung Erinnerung« wurde 1996 von Walther und Ingrid Seinsch ins Leben gerufen. Sie fördert Institutionen und Personen, die sich auf besonders wirkungsvolle Weise gegen das Vergessen, Verdrängen und Relativieren der von Deutschen in der Zeit des National sozialismus begangenen Verbrechen wenden oder die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Zeit voranbringen. Außerdem verleiht die Stiftung seit 1999 jährlich den mit € 12.500 dotierten Marion-Samuel-Preis an Personen, die das Anliegen der Stiftung gefördert haben. Erster Preisträger war der Historiker Raul Hilberg.

Marion Samuel wurde am 27. Juli 1931 in Arnswalde (Neumark) geboren. Ihre letzte bekannte Adresse datiert aus dem Jahr 1939: Rhinower Straße 11, im Bezirk Prenzlauer Berg in Berlin. Marion Samuel wurde mit dem 33. Transport aus Berlin am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und gilt als verschollen. Die “Stiftung Erinnerung” möchte an Marion Samuel und an die Menschen erinnern, die ihr Schicksal teilten.