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Rechtspositie, Nederland, Interview

INTERVIEW KARL-HEINZ DELLWO
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RP: Ist die Welt im Vergleich zu den 60er und 70er Jahren anders geworden?

Sie ist zum einen völlig anders und zum anderen gleich geblieben. Man muß nur an den Bereich der Produktivkraftentwicklung denken, an den der gesellschaftlicher Beschleunigung, an die Globalisierung und vieles mehr. Auch bei uns hat sich vieles geändert. Damals dachten wir - im Kontext mit der gesamten internationalen Linken -, wir haben eine ausreichende Gegenvorstellung zu den bestehenden Verhältnissen und sind in der Lage, eine bessere Gesellschaft zu organisieren. Später hat sich gezeigt, daß wir zwar ein konkretes gegenkulturelles Bewußtsein herausgebildet hatten, in der Frage der konkreten Gegengesellschaftsbestimmung aber über das Allgemeine nicht hinausgekommen sind. Gleich geblieben sind - wenn natürlich auch modifiziert - die Ausbeutungsverhältnisse, die Hierarchie in der Zuteilung von Lebensverhältnissen. Aber auch das hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Der Triumph des Kapitalismus nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus, also dem Ende des ersten Versuchs in der Welt, eine sozialistische Gesellschaftsform zu etablieren, steht, wie die aktuelle Krise zeigt, inzwischen auch auf tönernen Füßen. Vielleicht ist das die Zeit, wo endlich etwas Neues entstehen kann.

RP: Die philosphische Annährung an den Begriff «Gewalt» bzw. «bewaffneter Kampf».

Das ist mir zu allgemein. Zur Gewalt kommt es, wenn sich in der Gesellschaft ein konkretes Bewußtsein darüber entwickelt hat, dass ein anderes soziales Leben möglich ist, die herrschenden Verhältnisse den Weg dahin aber blockieren und unterdrücken wollen. In dem Moment entsteht das politisch wirksame Gefühl, das vielen in der Gesellschaft unrechtmäßig etwas vorenthalten wird und das kann dann gewaltsam eskalieren. Gewalt von unten ist immer Resultat der Erfahrung von Ungerechtigkeit. Über die spezielle Gewalt in den 70er Jahren müßte man noch einmal gesondert reden. Man kann sie in der Bundesrepublik Deutschland z.b. nicht begreifen, wenn man nicht sieht, daß die deutsche Nachkriegsgesellschaft eine war, die von Massenmördern und ihren Sympathisanten beherrscht worden ist. Bei allem, was wir falsch gemacht haben - das schlimmste wäre gewesen, mit denen zu paktieren und in einem Boot zu sitzen.

RP: Über 20 Jahre Gefängnis, aus dem täglichen Leben (in Gefangenschaft). Was tut man mit seiner Zukunftsvision/Überzeugung?

Ich hoffe, man hält an seiner Überzeugung fest. Die Überzeugung hat ja nichts mit den Mitteln zu tun, die man früher angewandt hat. Die bedürfen selbstverständlich der radikalsten Kritik. Die Überzeugung hat nur etwas mit der Ehrlichkeit zu tun, mit der man in die Welt blickt. Wer die Augen aufmacht, sieht, wie ungerecht es in dieser Welt zugeht und kann von da zu dem Selbstverständnis gelangen, daß man diese Ungerechtigkeiten nicht akzeptieren darf. Die Welt heute, allein in Asien werden 65.000 Kinder mehr sterben aufgrund der Kreditkrise. Jean Ziegler, der UN-Sonderbeauftragte, sagt: Jedes verhungerte Kind ist ein ermordetes Kind. Er begründet das damit, daß laut Uno- Untersuchung die Produktivkraftentwicklung der Welt so weit vorangeschritten ist, daß ca. 12 Mrd. Menschen ernährt werden könnten, also mehr als doppelt so viel, wie heute leben. Wenn dann trotzdem jemand an Hunger stirbt, hat das nichts mit irgendeiner Fatalität zu tun, die äußerhalb der Gesellschaft liegt, sondern mit der Absicht von Besitz und nicht-teilen-wollen. Wir haben die Ungerechtigkeit der Verhältnisse damals erkannt und deswegen gehandelt. Das gibt nicht allem, was wir praktisch im Kampf gemacht haben recht. Aber wir wollten die gesellschaftlichen und die Produktionsverhältnisse, die solche Folgen haben, mit vielen anderen in der Welt ändern. Wir müssen weiter suchen.


RP: Wie sind die politischen Verhältnisse heute in Deutschland?

Deutschland ist in gewisser Weise ein «normaler» kapitalistischer Staat geworden. So wird er ja auch von den anderen Staaten in Europa behandelt. Die Nazi-Vergangenheit ist in die Geschichte abgedrängt. Viele Linke aus dem 68er-Aufbruch sind Bestandteil der neuen Mittelschichten. Sie halten zwar noch einen Habitus von früher hoch, sind aber inzwischen längst konservativer Bestandteil der Gesellschaft. Ihre soziale Sensibilität und ihre konkretes Gefühl von sozialer Gerechtigkeit ist ihnen abhanden gekommen. Das hat sich schon lange vor der Hartz-IV-Gesetzgebung gezeigt, kommt aber da besonders zur Geltung. Hartz-IV ist ja der ökonomische Rassismus, mit dem Millionen von Menschen, die für die Produktion nicht mehr gebraucht werden, auf ein gesellschaftliches Abstellgleis geschoben werden, auf dem sie dann irgendwann wegsterben sollen, ohne dass sie vorher zum politischen Problem werden. Hartz-IV ist die radikalste Aufkündigung jeder gesellschaftlichen Solidarität. Die Mittelschichten wollen, daß es so bleibt wie es ist: Ihr Wohlstand soll gesichert bleiben und die, die nicht dazu gehören, sollen ihr Leben als Unterschicht verbringen. Ich nenne das deshalb rassistisch, weil es wie selbstverständlich Lebensrechte in der Gesellschaft zuteilt. Das gesellschaftliche Bild der Gleichheit der Menschen ist völlig aufgelöst. Der Nazismus kommt hier auf einer anderen Ebene zurück über eine ökonomische Zuteilung von Lebensrechten. Die grundsätzlichen Verhältnisse in Deutschland sind also reaktionär.

Zu mir selber: ich war insgesamt über 21 Jahre im Gefängnis, bin seit 1995 draussen. Ich war Mitglied des Kommando Holger Meins und mitverantwortlich für die Besetzung der Deutschen Botschaft in Stockholm 1975. Heute arbeite ich als Dokumentarfilmer in Hamburg.
Wer meine Interviews lesen will, findet sie veröffentlich auf der Seite www.bellastoria.de, dort unter der Rubrik “Veröffentlichungen”.
9 Juli 2009

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RECHTSPOSITIE KNUT FOLKERTS IN NEDERLAND

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De rechtspositie van Knut Folkerts in Nederland verscheen
augustus 2009 en is een uitgave van de Steungroep Knut
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