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Demokratisch in den Untergang, Konkret Heft 4 - 2024

Demokratisch in den Untergang, eine Kolumne von Karl-Heinz Dellwo in der Zeitschrift KONKRET April 2024. Nach der Verhaftung von Daniela Klette bricht eine Fahndungserregung in den Standardmedien der BRD auf, die an die 70er Jahre erinnert, obwohl es heute keine Stadtguerilla mehr gibt. In diesem Kontext beschäftigt sich der Artikel mit dem Soziologen Prof. Heinz Bude, der soziologische Hilftestellung an die politische Klasse gibt, um »Folgegehorsam« in der Gesellschaft zu bewirken, gegebenenfalls auch mit den Mitteln der Lüge, der Manipulation und der Falschinformation. Hier muss man von einer Apologie der Staatsfaschisierung sprechen. Der Artikel ist in der KONKRET, Heft 4, publiziert und wird zu einem späteren Zeitpunkt auch hier veröffentlicht.

In der KONKRET Mai, Heft 05/2024, wird eine  weitere Kolumne erscheinen vom gleichen Autor unter dem Titel Demokratie des Kapitalismus.

Demokratisch in den Untergang.

Eine Frau wird verhaftet, die 30 Jahre lang auf Fahndungslisten der Polizei stand. Der Vorgang springt ins Zentrum veröffentlichter Erregung. Es folgt die Jagd auf zwei weitere Gesuchte, denen man bisher nicht habhaft werden konnte. Es sind ehemalige RAF-Mitglieder, jene, die 1998 mit einer umfangreichen Erklärung das Projekt RAF nach 28 Jahren für beendet erklärt hatten. Wer die Medien aus der aktiven Zeit der RAF noch kennt, fühlt sich erinnert. Und doch: Was sind die Parallelen, wenn es das Konzept Stadtguerilla nicht mehr gibt?

Universität Graz im Januar: Hier spricht Heinz Bude, Sozialwissenschaftler in permanenter Herrschaftsassistenz[1]. In freundlichen Worten, in einem plaudernden Stil vorgetragen, folge ich Worten und Begrifflichkeiten (die nur die Soziologie erfinden kann wie »Vorratsreflektion«), die begründen, dass die Soziologie »Folgebereitschaft« herstellen muss, gegebenenfalls Mittels einer Politik der Angst, die gleichzeitig jedoch nicht so aussehen, sondern im Gewande von Wissenschaftlichkeit auftreten soll. Es werden Krisen kommen, Klimakatastrophen, Pandemien und auch der Krieg zieht wieder nach Europa ein. Notfalls wird man für diese Folgsamkeit auch »Zwang ausüben müssen«, um sich den Krisen in »kollektiver Handlungsfähigkeit« entgegenstellen zu können.

Was man hier hört, muss man als Apologie des Faschismus, mindestens als Apologie einer Faschisierung des Staatsapparats bezeichnen. Sein Ausgangspunkt: Der Kapitalismus als Gesellschaftsgrundlage ist unantastbar. Nicht er muss wegen seiner Krisen infrage gestellt, geschweige denn negiert werden, sondern der einzelne, der seine Unterwerfung verweigert oder einfach nur bockt, weil er nicht verstehen will, wieso dieser ihn, der doch nie ein Systemfeind war, nicht verschont.

Über die Gestik einer im Interesse von allen für notwendig erklärten »kollektiven Handlungsfähigkeit« greift eine Faschisierungsbereitschaft um sich, die - weil sie sich bemüht, unideologisch zu sein - als technischer Faschismus erweist. Sie braucht keine Ideologie, außer jener, dass die kapitalistischen Weltverhältnisse einer Art Naturgesetz folgen. Auf dieser Basis lassen sich Staatsdemonstrationen gegen die ideologischen Faschisten der AFD organisieren, während die offizielle Regierungspolitik sie selbst in der Sache längst überholt hat. »Können wir das überhaupt in einer modernen liberalen Gesellschaft, geht das eigentlich«, fragt der hier als Beispiel genommene Bude rhetorisch mit einem aus sich selbst folgenden »ja«, das niemand mehr aussprechen muss. Es ist das Kennzeichen der »liberalen Demokratie« des Kapitalismus gegenüber seinen autoritäreren Formen, dass sich alles als »wertebasiert« ausgibt, um im gesellschaftlichen Realprozess systemkonform aufgehoben zu werden. Rien ne va plus ändert sich in: rien ne compte plus. Es gilt wirklich nichts mehr. Alles ist in der »liberalen Demokratie« verhandelbar, nur eines nicht: der Kapitalismus als Lebensgrundlage. 

Längst gibt es keine eigenständige, aus dem Sozialen kommende verbindliche Selbstverpflichtung mehr gegenüber den anderen. Das ist einer der Gründe, warum der Staat immer zentralistischer wird und autoritärer. Die innere Auflösung aller Werte im Kapitalisierungsprozess des gesamten Lebens verlangt die äußere Klammer. Die sich strukturell selbst politisch-moralisch entwertende Gesellschaft braucht immer mehr Polizei. Das ist zwangsläufig. Pier Paolo Pasolini führte dies einst zur Diagnose eines sozialzerstörenden Zustandes, den er als »anthropologische Mutation[2]« bezeichnete. In der Welt von Konsum und Produktion eine Entleerung des Menschen und die Entstehung eines neuen sozialökonomischen Gesellschaftsmodell:  der »Konsumfaschismus«[3]. Der Faschismus ist dem Kapitalismus immanent und das eine ist nicht ohne das andere zu denken. In der Ukraine wird der Hegemoniekampf zwischen dem »liberalen« und »autoritären« Kapitalismus bis zum letzten Ukrainer geführt und in Gaza zeigt sich, was an Barbarei der Menschheit als »normal« zugemutet wird. Die, die glauben, dass sie dem ideologisch fundierten Faschismus mit dem Hochhalten der liberalen kapitalistischen Demokratie entgegentreten können, werden sich in völliger Entwaffnung vorfinden, wenn auch die liberale Demokratie im Anhäufen ihrer Brutalitäten und ihrer heute möglichen Kulmination in den großen Krieg ihren Kipppunkt offen gemacht hat.

Hier enthüllt sich dann der neue RAF-Hype, der gerade durch die Medien zieht, als Teil der Förderung von »Folgebereitschaft«. Auch ein Wiederholungsversuch: Volk und Staat als Fahndungsgemeinschaft. Konstant ist der ehrliche Hass auf die, die als Gegensouverän aufgetreten sind. Erlaubt ist alles. Hier kann der sich selbst aufgeilende Fahndungsjournalismus der LEGION[4] die KI zum Alltagsinstrument des technisch möglichen Faschismus machen. Aber es geht längst darüber hinaus: »Klima-Terroristen«, (zu viele Quellen, um sie hier zu zitieren) »Traktor-RAF« (Digital-Redaktion SWR), »Ein ganzes Land in Geiselhaft« (taz zum Bahnstreik).

Verlangt wird Unterwerfung und Folgsamkeit. Protest allenfalls in der Form, dass es den herrschenden Betrieb nicht stört. Alles wird dem Freund-Feind-Schema unterworfen, somit der politischen Logik des Krieges, die der militärischen vorausgeht, sie begleitet und ihr dann folgt. Längst ist die Gesellschaft autoritär formiert. Im Nachhinein erweist sich Corona als die Zeitenwende, in der die Politik der Angst zum zentralen Moment von Herrschaftsvermittlung geworden ist. Es folgt das neue Verlangen nach Gehorsam gegenüber dem Staat als Tugend und die moralische Aufwertung einer niederträchtigen Figur: der Mitläufer und Kollaborateur. Nachdem man jahrzehntelang sich mit Hannah Arendt geschmückt hat (»Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen«), lässt man die hehren Gesten gegenüber der Nazi-Vergangenheit fallen und propagiert den Führungsstaat, nahe dem, was man dann irgendwann, nicht allein bei Trump, als Führerstaat hat.


[1] Zitate Heinz Bude aus, »Gesellschaft im Ausnahmezustand – Was lernen wir aus der Coronakrise?«, Diskussionsveranstaltung Universität Graz vom 24.01.2024, abrufbar auf der Seite der Universität Graz.

[2] Pier-Paolo Pasolini, Gespräch mit Gideon Bachmann Januar 1965 in: PASOLINI BACHMANN, GESPRÄCHE 1963-1975, Vol. 1, Hrsg. von Gabriella Angheleddu und Fabien Vitali, Galerie der abseitigen Künste, Hamburg 2022 s. 79

[3] Siehe FN 2: hier Vol. 2, Kommentar Fabien Vitali S. 137 u. 415

[4] Fahndungsjournalisten für die ARD