Unser Autor, Genosse und Freund Achim Szepanski wurde gestern tot in seiner Wohnung aufgefunden. Achim Szepanski war innerhalb unserer Welt singulär, geradezu etwas Rares. Hochintelligent, sensibel, schonungslos in seiner Kritik, auch in seiner Polemik gegen eine längst zur leeren Attitüde gewordenen linksradikalen Lebenshaltung. In der Freundschaft und im persönlichen Gespräch aber war Achim von einer ungeahnten und ungewöhnlichen Zartheit und Achtsamkeit. Noch klingt uns seine Stimme im Ohr und wir wissen, was wir verloren haben: auch wenn sie zunehmend verzweifelt klang im Umstelltsein von der globalkapitalistischen Macht und den jüngsten Eskalationen ihres Terrors. Nur wenige haben den Finanzkapitalismus so durchdrungen und verachtet wie Achim. Ärmer durch den Verlust gedenken wir seiner.
Hamburg/Frankfurt 25.09.2024
Gabriella Angheleddu, Karl-Heinz Dellwo, Thomas Rudhof-Seibert
Gabriele Rollnik, Dennis Büscher-Ulbrich
Hier der Link zur Erinnerung an Achim von Sebastian Lotzer: https://bonustracks.blackblogs.org/
und hier der ganze Text dazu:
In Erinnerung an meinen Freund und Genossen Achim Szepanski
Sebastian Lotzer
“es ist eine täuschung, zu hoffen, es sei genug, es könne nicht schlimmer mehr kommen”
Christian Geissler: Kamalatta
Es ist erst ein paar Stunden her, dass mich Dellwo - du hast immer von ‘Dellwo’ und nicht von Karl-Heinz gesprochen, obwohl ihr euch doch so nahe standet (was für Details einem immer einfallen…)- angerufen und erzählt hat, dass sie dich heute tot in deiner Wohnung vorgefunden haben. Ich weiß nicht, ob deine Seele nicht mehr wollte, oder der Körper, es spielt auch keine wirkliche Rolle. Ich weiß, dass es dir in letzter Zeit meistens ziemlich dreckig ging, Karl-Heinz und ich haben uns neulich noch am Rande der Veranstaltung zur Geschichte des Bewaffneten Kampfes in Kreuzberg darüber unterhalten. Ich habe dich ja schon seit Jahren nicht mehr gesehen, wir haben uns nur häufiger geschrieben und ab und zu telefoniert. Wie überraschend weich da deine Stimme immer klang, ich glaube die Wenigsten habe eine Ahnung davon gehabt, wie feinfühlig du warst. Und wir beide wissen, mein Lieber, dass es die Feinfühligen sind, die am meisten verzweifeln über dieses Elend der Welt und das, was Menschen einander antun.
Nun also werde ich keine Artikel mehr auf deinem Blog veröffentlichen können, und es waren verdammt viele Texte und Übersetzungen, die ich dank deiner Hilfe verbreiten konnte. Und niemand wird mir mehr die Geschichte mit dem Marxismus erklären…Ich weiß noch, wie ich vor nicht allzulanger Zeit zu dir meinte, ich sei einfach zu dumm dafür und du mir sagtest, das wäre alles garnicht so schwierig und du würdest es mir bei Gelegenheit erklären. Doch diese Gelegenheit wird nicht mehr kommen, dabei hatte ich mich so sehr auf die Veranstaltung mit dir im Rahmen unserer ‘Veranstaltungsoffensive’ im Sommer dieses Jahres in Berlin gefreut. Sich endlich wieder in die Augen sehen können, sich der Gemeinsamkeiten, der Wut und all der Liebe versichern können. Und natürlich das eine oder andere geteilte Bier. Wahrscheinlich wären es ziemlich viele Biere und ein paar Schnäpse geworden. Aber du musstest mir kurz vorher mitteilen, dass du es gesundheitlich nicht schaffen würdest, nach Berlin zu kommen, also haben wir improvisiert und einen Video Zoom gemacht und das hat zu meiner Überraschung gut geklappt und der volle Saal hing an deinen Lippen und du hast es sogar geschafft dich so auszudrücken dass ich Tropf alles verstanden habe. Und ich weiß wie schwierig das für dich war mit all deinen mäandernden Gedanken und Assoziationen. Und es hätte dir so gut getan, leibhaftig zu erleben, was deine Worte den Menschen bedeutet haben, wie wichtig du warst (und bleiben wirst) für die Wenigen, die in diesem elenden Lande noch ernsthaft auf der Suche nach einem neuem gesellschaftlichen Antagonismus sind. Ich weiß wie (zu Recht !) verletzt und gekränkt du durch all die Niedertracht und Missachtung der letzten Jahre warst. Wie es dich getroffen hat, dass dein letztes Buch hierzulande nicht einmal ernsthaft rezensiert wurde, während sich im fernen China einige wichtige intellektuelle Köpfe des Staatskapitalismus zur Präsentation der chinesischen Übersetzung von ‘Die Ekstase der Spekulation’ versammelten.
Nun Achim, wirst du mir nicht mehr in den frühen Stunden des Neujahrsmorgen ganz aufgeregt schreiben, ob und wie heftig das migrantische Surplus Proletariat es auf den Straßen von Berlin hat krachen lassen. Du wirst mir nicht mehr mitten in der Nacht betrunken Mitteilungen über deine Verbundenheit mit den (ehemaligen) ‘brothers and sisters in arms’ schreiben. Du wirst mir nie mehr schreiben…
Dabei hätten wir noch so vieles zu tun, Achim. Wir sind noch lange nicht fertig mit diesem Schweinesystem. Aber wie sollen wir das schaffen, endlich wieder zumindestens theoretisch wieder auf die Höhe der Zeit zu kommen wenn du nicht mehr bei uns bist. Die ganzen ersten Schritte zur Neukonstituierung einer wirklich materialistischen Kritik hierzulande hätte es wahrscheinlich ohne dich gar nicht gegeben, oder zumindestens nicht in dieser Form. Du hast den wesentlichen Anteil daran, dass Clovers epochales Werk ‘Riot.Strike.Riot’ auf deutsch erschienen ist, du hast dafür gesorgt, dass wir über das ‘NON’ reden, dass die Leute verstehen, was für eine Rolle das Surplus-Proletariat heute in den weltweiten Klassenkämpfen inmitten der allgegenwärtigen Verwertungskrise spielt (du könntest das viel geschmeidiger und substanzieller ausdrücken, ich weiß, mein Freund). Ich glaube, du hast nicht die geringste Vorstellung davon gehabt, wie wichtig du für uns warst, auch wenn dieses ‘uns’, dieses ‘wir’, so unscharf in der derzeitigen Verwirrtheit daherkommen. Du hast das alles nicht gewusst, mein Lieber und ich habe es dir nicht wirklich oft und entschieden genug gesagt, mein Freund. Karl-Heinz hat dich noch letztens sinngemäß zitiert auf der Veranstaltung in Berlin und auch das wollte ich dir noch sagen, als ich dich vor einer Woche versucht habe anzurufen. Weil ich wusste, wie einsam und verfemt du dir häufig vorgekommen bist.
Doch du bist nicht ans Telefon gegangen und hast auch nur Karl-Heinz kurz geschrieben, dass “alles okay” sei. Doch nichts war und nichts ist ‘okay’. Nicht in deinem Leben, lieber Achim, nicht in unserem. Wir schweben alle im luftleeren Raum, so viel Geschichte, ach Achim, so viel Geschichte. Ich habe mir an diesem Abend im Jockel in Kreuzberg gewünscht, dass du dabei gewesen wärst, ich habe schon lange nicht mehr so viele aufgeregte, lebendige, warme Gesichter gesehen. Und so viel Geschichte… Die durch den Raum schwebte. Ja, so viel Geschichte. Davon haben wir reichlich. Doch was fangen wir damit an? Wie können wir daraus theoretische Werkzeuge gewinnen, um wieder in den Angriff zu kommen. Und wie sollen wir das alles anstellen ohne dich, Achim? Nein, nichts ist okay. Wir sind (fast) alle so müde und viele auch viel zu häufig viel zu einsam und verloren. Ein französischer Gefährte (auch so eine Verbundenheit, die sich merkwürdigerweise wie die unsrige über die räumliche Trennung hinweg so unwirklich real anfühlt) schrieb letztens in einem seiner klugen Aufsätze “Eine echte kollektive Macht kann man nur mit denjenigen aufstellen, die vor dem Alleinsein keine Angst mehr haben.” Und natürlich meint er damit, zumindest denke ich das, die politische Einsamkeit, die ‘wir’ alle in der Epoche des Corona Ausnahmezustandes zutiefst erfahren haben. Und die den (überfälligen) Bruch mit der gescheiterten historischen Linken unumkehrbar gestaltet. Und doch sind wir alles Subjekte, mit unseren Wunden, Wünschen, Sehnsüchten, wir sind alles und nichts, ohne den Anderen, die Andere. Martin Buber: “Der Mensch wird am Du zum Ich.”
Und so hab ich dich zu viel allein gelassen, mein lieber Achim, habe dir zu selten gesagt, wie wichtig und wertvoll du bist. Wie unersetzlich. Und so sitze ich hier mit meinen Tränen und deine Einsamkeit ist die meinige und deine Verzweiflung die meine. Und nichts bringt dich zurück zu uns, den lebenden Toten, die noch immer tanzen und hoffen und kämpfen. Aber das ist verdammt schwer ohne Menschen wie dich. Ich erinnere mich noch an diese kleine kalte Wohnung eines Genossen in der Kreuzberger Lilienthalstraße, wir hatten inmitten des Winters nur Kerzen zum Heizen, aber wir waren so unglaublich reich in jener Zeit. Und an den Wänden hing ein Plakat mit dem berühmten Foto von Gudrun und Andreas, das in einem Pariser Café entstanden ist, und darunter das Brecht Zitat: “Es gibt Menschen, die kämpfen einen Tag, und sie sind gut. - Es gibt andere, die kämpfen ein Jahr und sind besser. - Es gibt Menschen, die kämpfen viele Jahre und sind sehr gut. - Aber es gibt Menschen, die kämpfen ihr Leben lang: Das sind die Unersetzlichen.” Und so ein Unersetzlicher warst du, mein lieber Achim. Das wollte ich dir noch sagen, auch wenn du mich nicht mehr hören kannst.
In Liebe
Berlin, den 24. September 2024
Dein Thomas (alias Sebastian Lotzer)