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500 Gefangene im Hungerstreik

http://www.jungewelt.de/2008/08-04/046.php

Hungerstreik gegen staatliche Willkür

Über 500 Gefangene in BRD-Haftanstalten verweigern derzeit die Nahrungsaufnahme

Von Markus Bernhardt

Anläßlich eines Hungerstreiks von über 500 Inhaftierten in bundesdeutschen Haftanstalten und einigen ausländischen Gefängnissen rufen linke Gruppen wie die Rote Hilfe und Anarchist Black Cross zu Solidaritätsaktionen in verschiedenen Städten auf.

In Berlin wollen die Repres­sionsgegner am heutigen Montag (18 Uhr) eine Kundgebung vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Plötzensee durchführen, um sich für die Freilassung des dort inhaftierten Antifaschisten Christian S. stark zu machen. Im Anschluß daran ist eine Demonstration zur JVA im Berliner Bezirk Moabit geplant, um sich mit den dort Hungerstreikenden zu solidarisieren. 

Angaben der Berliner Ortsgruppe von Anarchist Black Cross zufolge verweigern derzeit insgesamt 537 Gefangene in 49 Orten der Bundesrepublik die Nahrungsaufnahme. Auch in zehn europäischen Gefängnissen – unter anderem in Spanien, Belgien und der Schweiz – sollen sich Inhaftierte am Protest beteiligen

Noch bis zum 7. August wollen die Gefangenen die Nahrungsaufnahme verweigern, dann sollen weitere Aktionen folgen. Sinn und Zweck des Hungerstreikes sei, »den durch Willkür- und Schikaneakte, durch vorsätzliche Rechtsbeugung, unterlassene Hilfeleistung, durch Psychoterror und Folter geprägten Alltag in deutschen Haftanstalten anzuprangern und Veränderung zu schaffen«, heißt es in einer Erklärung. Die Inhaftierten kritisierten zudem, daß das Strafvollzugsgesetz oftmals »nachweislich ignoriert« werde, und werfen den Vollzugsbehörden vor, in den Gefängnissen vorhandene Mißstände »durch pauschales Bestreiten und Nichtverfolgung« zu verschleiern. 

Explizit verweisen die Organisationen auf die JVA Bielefeld-Brackwedel, in der Inhaftierte, die sich gegen vorhandene Mißstände zur Wehr setzen, gemaßregelt würden. Bereits im September 2007 hatten insgesamt 330 der dort Inhaftierten eine Beschwerdepetition unterzeichnet, welche jedoch ohne offizielle Untersuchung vom nordrhein-westfälischen Justizministerium als unbegründet verworfen wurde. Die Hungerstreikenden fordern alle Gefangenen auf, ihr Beschwerde- und Klagerecht – trotz drohender Schikanen – in Anspruch zu nehmen und rechtswidrige Haftbedingungen anzuprangern.

 

siehe auch:

Hunderte Gefangene wollen mit einem einwöchigen Hungerstreik gegen Missstände im Gefängnis protestieren. 
von Peter Nowak - www.political-prisoners.net , 01.08.2008

http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=5186&Itemid=58

Sie fordern die Abschaffung von Isolationshaft, Sicherungsverwahrung und Zensur. »Mittlerweile bin ich an einem Punkt angekommen, wo ich leider sagen muss, dass ich definitiv nicht mehr kann.« Diese Zeilen finden sich in einem Brief von Nadine Tribian. Die Frau ist im Gefängnis Bielefeld-Brackwedel inhaftiert und wehrt sich seit langem gegen ihre Haftbedingungen. Weil sie kein Blatt vor den Mund nehme und immer wieder ihre Situation anprangere, sei sie besonderen Schikanen ausgeliefert, heißt es in der holländischen Gefängniszeitung »Uitbraak« über die Frau, die zum Ausgangspunkt des bundesweiten Hungerstreiks wurde. 

Er soll von heute an bis zum 7. August dauern. Mittlerweile haben über 500 Gefangene aus 29 Haftanstalten ihre Beteiligung angekündigt, darunter auch Gefängnisinsassen aus der Schweiz, Holland und Belgien. Die weite Verbreitung der Initiative erklärt Peter Scherzl, der in der JVA Rheinbach in Nordrhein-Westfalen (NRW) inhaftiert ist, mit dem zunehmenden Druck im Gefängnisalltag. Ständige Demütigungen, Zensur kritischer Zeitungen und Briefe, Kontaktsperren und Isolationshaft seien alltägliche Instrumente in vielen Haftanstalten. Wer sich wehrt, habe mit Repressalien, Kriminalisierung und Psychiatrisierung zu rechnen. Sie würden als »renitent«, »notorisch-querulant«, »psychisch gestört« oder als »Lügner« diffamiert. Der Hungerprotest solle neben der Unterstützung für Nadine Tribian auch diese Zustände einer größeren Öffentlichkeit bekannt machen, betont Scherzl in einem Brief zur Aktion. Schon in den letzten Monaten haben spektakuläre Fälle von Misshandlungen durch Mithäftlinge in NRW sowie mehrere Selbstmorde von jugendlichen Häftlingen in Hessen wenigstens kurzzeitig für Aufmerksamkeit gesorgt. Der Hungerstreik soll der Auftakt für eine längerfristige Kampagne zur Veränderung der Knäste sein.